Freitag, 5. April 2013

ein Tag im Leben...

... einer Wurstverkäuferin. (auf Wunsch von Frau K.)

Achtung: laaanger Artikel!
Nach den üblichen Morgenritualen die Wohnung verlassen. Als erstes die European Bakery ansteuern und ein "Accessoire" besorgen (a.k.a. Kaffee für unterwegs, was hier alle mit sich rumtragen, wir anfänglich eher befremdlich fanden und inzwischen komplett normal ist. Wir gehen auch schon damit im Stanley Park spazieren ;-) )
Die Bute Street von Nord nach Süd unter die Füsse nehmen, nach 20 Minuten Ankunft Anlegestelle der False Creek Ferry. Kurze Fahrt über den Fluss nach Granville Island.
Ankunft Markthalle resp. Wurststand, rote Schürze anziehen, Hände waschen, los geht's.
Unser Team: Chefin 40j D/CA, Chef 45j D/NL, Manager 48j F, diverse ca. 100% Angestellte (32j F, 27j F, 57j Polen, 52j Ungarn, 50j Mexiko, 21j Belgien, 42j China, 40j Philippinen und diverse Aushilfen mit kleineren Pensen, alles Canadier mit interessanten Wurzeln (Mutter Italien, Vater Portugal; Mutter Vietnam, Vater Philippinen; Mutter China, Vater Thailand, Mutter China, Vater Frankreich....), somit also entsprechend der durchschnittlichen Bevölkerung von Vancouver.
Die meisten von uns arbeiten 4 Tage/Wo 10h/Tag. Der erste beginnt um 05.00 mit auffüllen, putzen, Lieferungen der Plant (Produktion) auspacken/einräumen etc. Um 08.30 beginnt der Verkauf. An einem Montag arbeiten 4-5 Personen, an einem Samstag ca. 12 und um Weihnachten bis zu 22!
Eine Person füllt kontinuierlich nach, eine Dame kümmert sich Montag und Dienstag mehrheitlich um die Schildchen, der Rest ist hauptsächlich mit Verkauf beschäftigt, dazwischen gilt es immer mal wieder abzuwaschen, die Aufschnittmaschinen zu reinigen (seit die Frau-Lebensmittlerin da war jede Stunde!), den Boden zu wischen, Abfalleimer leeren etc. Meist muss das die zuletzt eingestellte Person machen, was zur Zeit unser "kleiner" Belgier ist. Habe jeweils etwas Mitleid mit ihm, da der Junge häufig keinen einzigen Kunden bedienen darf vor lauter abwaschen/putzen. Da ich das Sortiment von Anfang an recht gut kannte (als "verfressene" Europäerin ist man extrem im Vorteil) und gemäss Feedbacks guten Kundenservice mache, kam ich bereits nach 2 Tagen vom Abwaschbecken weg. Heisst für mich, bis die Markthalle um 19h schliesst, bin ich 10h am Kunden bedienen (30 Min. Pause dazwischen). Aufräumen geht dann eigentlich rucki-zucki, spätestens um 19.30 sind alle draussen.
Unser Angebot umfasst ca. 400 Artikel, quasi alle europäischer Machart. Patés, Terrinen, Leberwürste (grob, fein, Hausmacher....), Blutwürste (scottish blackpudding, boudain noir, hausmacher Blutwurst, Blut-und Zungenwurst...), sogenannte Cold Cuts (div. Schinken, Lyoner, Bierwurst, Roastbeef.....), täglich um die 20 Sorten frische Würste, geräuchte Würste, Wienerli, gekochte Würste, div. getrocknete und/oder geräuchte Schinken/Rohschinken/Specks/Bündnerfleisch etc., 30-40 versch. Salamis, sieben verschiedene Bratspecks/Pancettas usw.usf.etc. und dann natürlich noch den Käse!

Finde nicht alles super lecker (komische gepresste "Salami" mit Emmentaler drin...), aber doch das meiste. Das einzige, was ich nicht kannte ist "Guanciale" (geräuchte Schweinebacke ganz mit Schwarte, siehe Bild, soll aber lecker und Speck-mässig sein).

Der Job macht mir mehrheitlich Spass, geht es doch wie in der Beiz auch um Kundendienst. Auch hier gibt es äusserst nette Kunden, welche sich höflich für die Hilfe bedanken, Stammkunden die man beim Namen und nach Vorlieben kennt, weniger nette und super anstrengende - alles wie gehabt. Ausser dass die Kundschaft auch (wie die Belegschaft) einmal quer über den Erdball ihre Herkunft hat. Gefällt mir gut. Ich spreche eigentlich täglich nebst Englisch, Französisch, Deutsch, Italienisch und mein supi-rudimentäres Spanisch.

Manchmal muss ich mich aber schon grüüseli zämänäh:
- wenn jemand fragt, wie er seine 200g Trüffel-Paté zu 14.- kochen soll (oder ein anderer sich beschwert, dass er Paté grillen wollte, was nicht so toll kam...),
- eine ältere Dame mit starkem deutschem Akzent sich darüber auslässt, welche Frechheit das ist, dass wir die "Rheinländerwurst" nur im Winter führen, das sei nämlich durchaus eine ganzjahres Wurst (da bin ich schon etwas versucht zu sagen: dann gehen sie doch zurück ins Rheinland)
- regelmässig gefragt wird, was denn in der "apple pork" Wurst sei (ähm... apple und pork?) (wahlweise auch "Truthahn mit Schnittlauch", "Poulet mit geröstetem Knoblauch".....)
- wenn jemand von allen (!) Salamis 2 (!) Rädli einzel verpackt und angeschrieben haben will, damit er sie zu Hause in Ruhe degustieren kann. Aufwand mind. 30 Minuten, Ertrag keine 10 Dollar und Spass macht's auch nicht.
Überhaupt ist die Beschwerde-Kultur ganz anders als in der Schweiz. Es gibt täglich Anrufe und Emails mit irgendwelchem Pipifax (Datum auf dem Total der Waage falsch, Bedienung hat nicht gelächelt, die Wurst ist etwas weniger geräucht als beim letzten Mal, die 100g Coppa (welche gestern gekauft wurden) schmecken mir doch nicht, kann ich sie zurück bringen? Seufz).

Was mir nicht so Spass macht, ist das Gschtungg hinter der Theke. Wir haben kaum Platz, und wenn sich dann 10 Mitarbeiter gleichzeitig um 3 Aufschnittmaschinen, 3 Waagen und 1 Kasse prügeln, finde ich es sehr anstrengend. Klaustrophobisch darf man hier definitiv nicht sein.

"Darfs es Bitzeli meh si?" wird hier eigentlich mit der Angabe der Gramm gelöst. Kundin will 125g (!) Kochschinken, wenn es dann 140g werden, frage ich sie, ob das auch o.k. ist. Aber ehrlich gesagt muss ich mich schon um mind. 10-20% "verhauen", dass ich überhaupt nachfrage.
Und nein, Lyonerschibli gibt es bei uns eigentlich nicht für Kinder. Da nichts vorgeschnitten ist, ist es schwierig, sich zum Lyoner durchzukämpfen, anschliessend zur Aufschnittmaschine, einen Platz in der Warteschlange ergattern, damit man schlussendlich vom Vater hört, dass sein Kind vegi ernährt wird... Item, wenn der Vater aber Lyoner bestellt, dann schneide ich immer ein Extraschbli "für grad". Ehrensache!

Sodeli, ich glaube, das wär's. Noch Fragen?

Ah ja, nach der Arbeit geh ich heim, Fäbu hat gekocht, essen, gemütlich, schlafen, aus.





Frau M. an der Waage

der Aufschnittmaschinen-Monteur, ein häufiger Besucher.
Oben rechts im Bild die "Guanciale"
und ja, das ist der ganze Stand.


Abwasch-Ecke mit Käseschneid-Truc

Kühlzelle = Infobrett
Links im Bild die Leiter hoch zum Economat/Estrich/Büro (Fax)/Garderobe


meine Lieblingsabteilung ;-)